Die Allianz von Sucht und Einsamkeit

Interview zum Thema "Sucht und Alter"

Eine eindeutige Sprache sprechen die Zahlen, die Norbert Hiller, Leiter der Ambulanten Rehabilitation Sucht (ARS) des Caritasverbandes vorlegt: Auch die Menge der älteren Menschen, die das Angebot auf Grund einer Suchterkrankung in Anspruch nehmen, nimmt zu. In den meisten Fällen handelt es sich um Alkoholabhängigkeit. Welche Ursachen häufig dazu führen – besonders in der heutigen Altersgruppe 55 plus – berichtet Norbert Hiller.

„Grundsätzlich gibt es in diesem Alter viele potentielle Faktoren, die Krisen hervorrufen können“, sagt Hiller. Da sei zuerst der Übergang aus dem Berufsleben in die Rente genannt, der vielen Menschen Probleme bereitet. Was bin ich ohne meinen Beruf? Diese Frage geht dem Selbstwertgefühl einiger Menschen an den Kragen. Zudem haben sie plötzlich sehr viel freie Zeit, die es zu füllen gilt. Da drängen sich auch schon die nächsten Frage auf: Was haben die Dinge, die ich tue, eigentlich für einen Sinn? Welchen Sinn erfülle ich? „Das Gefühl des nutzlos seins und die Leere des Alltags ist für viele Menschen schwer auszuhalten. Es ist häufig diese Zeit, in der Süchte ihren Anfang nehmen“, berichtet Hiller. Es können aber auch Schicksalsschläge sein, die ab diesem Alter vermehrt auftreten – zum Beispiel eine schwere Erkrankung oder der Tod des Partners. „Doch Krisen wie diese waren immer schon Nährboden für Suchterkrankungen. Was wir aber in den vergangenen Jahren beobachten ist, dass die Inanspruchnahme unserer Dienste von Menschen im Alter von 55 bis 80 deutlich zunimmt. Genau genommen hat sie sich in vier Jahren mehr als verdoppelt“, erklärt Hiller. Während sie 2010 bei 15 Menschen lag, stieg sie im Folgejahr auf 18, 2012 dann auf 25, 2013 auf 33 und 2014 nutzten bereits 39 Menschen die Betreuung der ARS. Dabei handelt es sich um eine wohnortnahe Form der therapeutischen Heilbehandlung für suchterkrankte Menschen, die in ihrem sozialen Umfeld bleiben möchten. In keiner der anderen Altersgruppen in der Spanne von 18 bis 54 ist eine solch starke Zunahme zu sehen.

Doch warum sind es gerade die über 55-jährigen, die zunehmend unter einer Suchterkrankung leiden? Aus Sicht von Norbert Hiller schlägt sich auch hier das Thema Demografischer Wandel nieder. „Schon der Demografiebericht 2007 des Kreises Coesfeld hat eine deutliche Zunahme der Bevölkerung im potenziellen Ruhestandsalter prognostiziert“, sagt er. So lag die Zahl der Menschen im Kreis Coesfeld im Alter von 65 und älter im Jahr 2005 noch bei 35.361 – laut Bericht wird sich diese Zahl bis 2025 auf 55.776 steigern. Das würde eine Zunahme dieser Altersgruppe von 58 Prozent bedeuten. „Neben einfachen Zunahme von älteren Menschen hat sich aber auch in der Wohn- und Lebenssituation dieser Personengruppe verändert“, betont Hiller. Auch in diesem Aspekt seien Gründe für Suchterkrankungen verborgen. So weiß er aus seiner Arbeit mit den Betroffenen, dass immer mehr Menschen alleine leben. Zu Herausforderungen wie dem Eintritt in den Ruhestand oder der Trauer über den Tod des Partners, kommt dann auch noch die Einsamkeit. Hiller erklärt das Zustandekommen einer Sucht an dem sogenannten „Bedingungsdreieck“, das sich aus drei Entstehungsbedingungen zusammensetzt: Das sind die persönlichen Eigenschaften einer Person, das soziale Umfeld des Menschen und die Droge – drei Faktoren, die sich gegenseitig bedingen und beeinflussen.

„Ungünstige Voraussetzungen in einem oder mehreren dieser Faktoren steigern das Gefahrenpotential zur Entwicklung einer Sucht. Ein nicht vorhandenes oder schwaches Netz aus Familie, Freunden oder Nachbarn, gepaart mit dem Alleinleben, ist ein Beispiel für eine solche ‚ungünstige Voraussetzung‘“, sagt Norbert Hiller. Was rät er Menschen, die bei sich selbst oder bei einem Angehörigen oder bei einer befreundeten Person einen erhöhten Alkoholkonsum oder Drogenmissbrauch beobachten? „Der Betroffene oder Angehörige sollten direkt mit einer der Beratungsstellen in Wohnortnähe oder mit dem Hausarzt Kontakt aufnehmen. Dort erhalten sie Hilfestellung“, so Hiller. Die Ansprache der Beratungsstelle kann telefonisch, persönlich oder anonym über die online-Beratung des Caritasverbandes erfolgen.

Jeden Mittwoch finden außerdem in Coesfeld und Lüdinghausen von 14.30 bis 17 Uhr offene Sprechstunden statt, die ohne vorherige Terminvergabe in Anspruch genommen werden können. In den ersten Beratungsgesprächen werden Behandlungsmöglichkeiten abgeklärt: Bei Problemen mit Alkohol und oder Drogen im frühen Stadium kann eine ambulante Therapie in der Beratungsstelle erfolgen, bei langjährigen chronischen Abhängigkeitsverläufen wird in der Regel eine stationäre Therapie nötig sein. Die Beratungsstellen helfen bei der Antragstellung und bei der Auswahl der richtigen Fachklinik.


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